Das große Fest

von Thomas Büser

Circulo de Bellas Artes

Der 12. Oktober ist spanischer Nationalfeiertag, der Tag der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus. Doch ist er auch ein Symbol der nationalen Einheit?

Ein Meer spanischer Nationalfahnen, Soldaten der Fremdenlegion, Düsenjägerstaffeln - das ist nicht jedermanns Geschmack. Ebenso wie beim Stierkampf kenne ich unter meinen Freunden niemanden, der der großen Militärparade beiwohnt, die jeden 12. Oktober in der spanischen Hauptstadt stattfindet. Das ist zu rechts, zu ranzig. Die meisten meiner Freunde haben ein eher gespaltenes Verhältnis zum Thema Nationalstolz und seiner Symbolik, sind nach wie vor durch die Erfahrungen der späten Franco-Jahre oder der Zeit unmittelbar danach geprägt. Von offizieller Seite her ist der "Doce de Octubre" wie andere Nationalfeiertage auch ein Fest der nationalen Identität, und nicht selten auch der nationalen (oder nationalistischen) Geschichtsverfälschung. Wie die gesamte Geschichte einer Nation bleibt ihre Interpretation selten konstant, jede Generation interpretiert etwas Anderes in sie hinein, begeht diese Tage auf eine andere Weise. Genau dies passiert natürlich auch mit diesem Tag, an dem der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus gedacht wird. Ein Tag des Stolzes einer alten und ehemaligen Kolonialnation. Spanien als Entdeckerin und Eroberin eines neuen Erdteils. Der Tag, an dem nicht in Indien, sondern auf dem amerikanischen Kontinent der Siegeszug der spanischen Sprache und Kultur, aber nicht zuletzt auch des katholischen Glaubens eingeleitet wurde.

Doch bereits bei diesen vermeintlich simplen historischen Fakten beginnt bereits die Zwietracht. War die so genannte "Conquista" Amerikas nicht eigentlich der Auftakt für einen Raub- und Vernichtungskrieg gegen die indianische Urbevölkerung? Von Mexiko bis Argentinien wird und wurde diese Frage immer wieder als Kritik am spanischen (und eigentlich am gesamten europäischen) Kolonialismus formuliert. Die Spanier selbst haben in ihrer jüngeren Geschichte nicht wenig zu dieser Kritik beigetragen, denn unter Franco war der 12. Oktober für viele seiner fanatischsten Anhänger auch der Tag des Caudillo, während ganz offiziell die Bezeichnung "Día de la Raza" verwendet wurde. Selbstbeweihräucherung und Apotheose einer in den Rang eines rückständigen Armenhauses degradierten Nation waren angesagt. Säbelrasselnde Militärparaden auf Madrids Protz-Achse Castellana verliehen diesem Fest bis in die siebziger Jahre hinein etwas verstörend Martialisches.

Doch das demokratische Nach-Franco-Spanien wandte sich von jeglicher Blut und Boden-Ästhetik ab und benannte den Tag in "Dïa de la Hispanidad" um. Frei übersetzt "Tag der hispanischen Zivilisation". Das Benennungshickhack ist damit jedoch bei weitem nicht zum Stillstand gekommen. Zwar wird der Tag in den allermeisten iberoamerikanischen Nationen als Feiertag begangen, doch sind die Bezeichnungen vielfältig und fast sogar beliebig. In Argentinien heißt der 12. Oktober seit 2010 "Tag des Respekts vor der kulturellen Diversität". Chile nennt ihn offiziell "Tag der Begegnung zweier Welten". Mexiko blieb der rassischen Komponente noch am ehesten treu: "Tag der iberoamerikanischen Rasse" als Anspielung auf die Rassenvermischung, einem der Identitätskennzeichen Amerikas. Doch auch Befreiungspathos darf nicht fehlen, wie zum Beispiel in Nicaragua. Dort prägte die sandinistische Revolution den Namen "Tag des indianischen Widerstandes".

Es ist also für alle etwas dabei an diesem 12. Oktober. In Madrid findet nach wie vor die traditionelle Militärparade samt Fliegerstaffel statt. Das Militär defiliert vor König und Repräsentanten des politischen Lebens vorbei. Mal ist der Paseo de la Castellana Austragungsort dieser Parade, dieses Jahr war es die Museumsmeile Paseo del Prado. Alles ein wenig zivilisierter und weniger martialisch als vor der Kulisse der Betonscheußlichkeiten auf der Castellana. Pfiffe in Richtung Regierungstribüne blieben weitgehend aus. Derartige "Beifallsbekundungen" sind immer dann an der Tagesordnung, wenn ein sozialistischer Ministerpräsident in der Loge Platz nimmt. Dies zeigt zugleich, dass der Tag und seine Feier auch im demokratischen Spanien immer noch eine Gelegenheit zur Selbstdarstellung des eher rechten Teils der Bevölkerung geblieben sind. Störfeuer von der Peripherie darf dabei natürlich nicht fehlen. In diesem Jahr kam es, wie nicht anders zu erwarten, aus dem notorisch aufsässigen Katalonien. Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau verurteilte die Abhaltung des 12. Oktobers. Es sei geschmacklos, einen Genozid wie den in Amerika zu feiern. Der Historiker verhüllt an dieser Stelle sein Haupt vor so viel linksseparatistischem Puritanismus und wirft, inmitten von Vorwahlkampf und Krise, den Blick nach vorn. Der 12. Oktober macht Sinn, wenn ihn alle Iberoamerikaner in Madrid feiern, Spanier und Immigranten, alle zusammen. Ohne Militärparade, aber eben auch ohne dümmlichen Linkspopulismus. Eine Nation, eine Kultur braucht Symbole, und der 12. Oktober ist in seiner ganzen Problematik ein solches Symbol. Er markiert den Beginn einer Epoche von Sklaverei und Unterdrückung, aber auch den Beginn einer neuen, hispanischen Zivilisation links und rechts des Atlantiks. Mehr als eine Rasse und viel, viel mehr als kleinkarierter Provinzialismus.

Zurück